Jaleh Perego: Der Weise (Tusche und Aquarell, 2017)

Gleichnisse
der 
Unvergänglichkeit

Beethovens Variationen über Ich bin der Schneider Kakadu op.121a erklingen. Seufzerfiguren schweben auf die g-Moll-Gravitas der einleitenden Takte nieder. Indessen evoziert der kauzige Titel des Werkes eine elegant gekleidete Vogelgestalt. Der Blick nach innen gekehrt, lauscht sie der Musik und sucht, der Welten Tiefe auszuloten… Unsere gefiederte Melancholia trägt schwarz, raucht Pfeife und versinkt in elysischer Innenschau, wo Landschaften geistig werden. Sie krallt sich an ihrem Sockel aus Bachschem Kontrapunkt fest – gedankenvoll und tatenarm ehrt sie ihre Meister. 

Aber ach, der horror vacui erfasst die Seele des bildenden Betrachters… Artefakte des geistigen Weitblicks müssen um die Hauptfigur drapiert werden, dass ihr Inneres sich uns mitteile. Vanitas vanitatum – klagen derweil Stundenglas und ein Vogelskelett, sowie eine einsame Tulpe in ihrem azurblauen Gefäß. Jungfräuliche Lilien bleichen dahin, Spielkarten befragen indessen Fortunas Launen. Dem Eingeweihten offenbaren platonische Körper die Harmonie der Welt. Totemfiguren am Schreibtischrand wollen dem gebildeten Papagei von den schauerlichen Atavismen seiner Ahnen erzählen. Auf dem Schachbrett gemahnt die karge Stellung des Endspiels an die Agonie der reinen Vernunft. Und Bachs Ciaccona, dem Vogel zu Füßen auf ein vergilbtes Notenblatt hingeworfen, wird ihr Lamentobass-Motiv vierundsechzigmal bis ins Ekstatische hinein variieren. 

Memento mori – nun wäre unser Stillleben-Exerzitium mit Papagei, Tulpe und Schachbrett bis auf die Sprezzatura der achtlos hingestreuten Früchte und Nüsse vollendet. Aber der Schöngeist empfindet die Szene noch als Ereignis der Unzulänglichkeit: Die Wände der Denkerklause dürfen auf keinem Fall blank bleiben. Sie sollen die Hauptfigur mit tönendem Schweigen umhüllen und ein geistig anregendes Gravitationsfeld erzeugen. SATOR AREPO TENET OPERA ROTAS – diesem in einem magischen Quadrat gefassten Satz-Palindrom gebührt ein Ehrenplatz in der Stube jedes ernsthaften Tonkünstlers. Ihr folgt selbstredend das Kürzel B-A-C-H – Anfang und Ende aller Musik… Schräg gegenüber durchstreifen hermetische Sinnbilder die subliminale untere Ecke unseres Stilllebens: Der Gelehrte Thot sitzt im Profil in der Totenwelt-Barke und gleitet auf einem einfallslosen Wellenfries. Der grüne Löwe frisst die Sonne, um uns zur Suche nach dem Stein der Weisen durch innere Läuterung zu ermahnen. Von der gegenüberliegenden Bildecke beantworten hebräische Schriftzüge diese Rätsel mit rhetorischen Fragen: Wenn ich nicht für mich bin, wer ist für mich? Wenn nicht jetzt, wann dann?

Nun sind die Variationen über Ich bin der Schneider Kakadu längst verklungen. Sie haben durch einen Schwarm gedanklicher Assoziationen eine schwarzgefiederte Papagei-Gestalt in die Welt hineingesetzt, die Gleichnisse der Unvergänglichkeit um sich schart. Gedankenvoll und tatenarm gedenkt sie ihrer Meister. Sie raucht Pfeife und meditiert über Zeichen, Vorzeichen und Abzeichen.  Ars longa, vita brevis.

 

Jaleh Perego 

Zeichnungen

© 2025 Jaleh Perego. 
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